Lieber Märtyrerin sein, als falschen Göttern opfern

Georg Friedrich Händels spätes Oratorium „Theodora“ unter Joachim Carlos Martini in der Heidelberger Peterskirche

Händel zu Pfingsten, das ist ein verlässlicher Fixpunkt in der Heidelberger Peterskirche. Die Junge Kantorei Frankfurt unter Joachim Carlos Martini lässt hier alljährlich ein Oratorium erklingen – meist ein weniger oder gänzlich unbekanntes aus dem reichen Oeuvre des Komponisten. „Theodora“, eines seiner letzten Werke, entstand 1750 innerhalb weniger Wochen. Ihm war bei der Londoner Uraufführung und auch danach allerdings kein großer Erfolg beschieden.

Das lag nicht an der Musik, die Händel selbst zur Besten zählte, die er geschrieben hatte, und die auch später in Ausschnitten zum Fundus seiner großen „Hits“ gehörte. Der Misserfolg lag wohl an der Geschichte, die hier erzählt wird und die die Zeitgenossen anstößig fanden: Die Christin Theodora weigert sich, zum Geburtstag Kaiser Diokletians (dieser herrschte zwischen 284-305 n. Chr.) Gott Jupiter zu huldigen. Dass ihr angedroht wird, sie werde mit Folter, Feuer, Galgen und Schwert verfolgt, wenn sie nicht einlenkt, kümmert sie nicht: Lieber Märtyrerin sein, als falschen Göttern opfern. Statthalter Valens denkt sich daraufhin eine noch härtere Strafe aus: Sie solle nicht sterben, dafür aber als Hure im Bordell landen. Auch das kümmert Theodora nicht, und sie wird eingesperrt. Als Didymus, der sie liebt, sie mit einer List befreien will, wird auch dieser gefangen. Alles Bitten und Flehen – ein herrliches Liebesduett, in dem der eine für den anderen sterben will – hilft nicht: Valens fährt die harte Tour: „Seid Ihr etwa Richter Euer selbst?“ empört er sich und fährt fort: „Mit unseren Gesetzen kann man nicht herumspielen: Wenn sich beide für schuldig erklären, dann ist es nur gerecht, wenn auch beide sterben.“

Das brüskierte das zeitgenössische Publikum: Nicht nur, dass hier vor Damen offen vom Bordell geredet wurde, auch ein solch unbarmherziges, tödliches Ende hob nicht gerade die Laune der Gesellschaft. So blieb „Theodora“ für lange Zeit ungespielt – bis Christie, Harnoncourt und andere das Werk wieder in die Öffentlichkeit brachten. In Heidelberg war es unseres Wissens noch nicht aufgeführt worden, Martini mit der Jungen Kantorei präsentierte also wieder einmal eine Rarität.

Die Musik ist außerordentich: im echten Spätstil geschrieben, harmonisch-kontrapunktisch weniger experimentell, aber dafür hoch inspiriert und mit größter kompositorischer Kompetenz verfasst. Da sitzt einfach jede Note perfekt, und auch chromatische Kontrapunktik wirkt nie angestrengt.

Der Chor wird nicht überstrapaziert, aber dramaturgisch sinnvoll in die Story implantiert. Das Instrumentarium ist nicht besonders reich (Streicher plus zwei Oboen, Traversflöte, Fagott, Hörner), wird aber raffiniert eingesetzt: So kommt die Traverse nur einmal richtig zum Einsatz, in einer kurzen „Symphony of soft Musick“ in Akt II und hat hier auch kaum Virtuoses zu leisten. Sie seufzt nur einzelne leise Töne – aber diese klanglich derart apart, dass es einem das Herz zerreißt. Die Arien werden seltsamerweise gar nicht mit Blasinstrumenten verziert, die Oboen beispielsweise gehen nur colla parte mit den Streichern in größeren Chorsätzen.

So bleibt das Hauptteil dieser Partitur bei den Streichern und den Gesangssolisten: Martini ist ein routinierter Händel-Dirigent, der sich früh mit der historischen Aufführungspraxis befasste und selbstverständlich auf Originalinstrumenten der Zeit musizieren lässt. Das Barockorchester Frankfurt (Konzertmeisterin: Judith Freise) musizierte in Heidelberg ausgezeichnet, auch wenn man sich bei einigen markanten Stücken durchaus eine kantigere Rhythmik oder einen bissigeren Klang hätte vorstellen können (etwa in den Arien und Rezitativen 41-45). Hier war ein etwas gemilderter „Altersstil“ auch des Dirigenten zu bemerken, der mehr auf klangliche Ausgewogenheit denn auf Dramatik achtete. Die Junge Kantorei hatte trotz großer Überzahl der Damen kaum Balanceprobleme, artikulierte gut und intonierte sicher.

Von den fünf Vokalsolisten fiel allein die Sopranistin Christina Wieland etwas ab, die zwar mit bestem Material und guter Technik sang, deren Ton aber durch ein nervöses Tremolo kaum wirkliche Gestaltungsmöglichkeiten offen ließ. Die Mezzosopranistin Diana Schmid wusste mit muodulationsfähiger, großer Stimme zu überzeugen, ausdrucksstark auch der Countertenor Franz Vitzthum, der Tenor Knut Schoch und der Bassbariton Klaus Mertens. Das Publikum bewies gutes Sitzfleisch bei rund zweieinhalb Stunden reiner Aufführungszeit und zeigte danach große Begeisterung für alle Ausführenden.

Rhein-Neckar-Zeitung vom 27. Mai 2010
Matthias Roth